Montag, 21. Februar 2011

Ewige Flamme

Jedes Mal, wenn ich in den achtziger Jahren mit dem Doppelstockbus um den Theodor-Heuss-Platz herumfuhr, was selten genug vorkam, berührte mich die brennende Schale auf dem Steinblock, der dort aufgestellt war, unangenehm. Ohne auch nur das Geringste über die Bedeutung dieses Denkmals zu wissen, lehnte ich es ab. Die zur Straßenseite hin angebrachten Worte »Freiheit – Recht – Friede« waren in ihrer Allgemeinheit nicht dazu angetan, ein unbewusstes Misstrauen diesem Ensemble gegenüber zu zerstreuen. Die dreibeinige Opferschale ließ meine Assoziationen unmittelbar und ungut zu den eisernen Leuchterreihen des Olympiastadions schweifen. Ein, wie ich meinte, muffiges Pathos stieß mich ebenso zurück wie eine angemaßte Sakralität. Hier war, so dachte ich, falsches Bewusstsein am Werk, etwas Reaktionäres und Restauratives aus den finsteren Anfangsgründen der Bundesrepublik.

Umso erstaunter war ich, als ich viel später erfuhr, dass es sich bei dem Denkmal auf dem Theodor-Heuss-Platz um ein Mahnmahl gegen Vertreibung handelt. 1955 von den Landsmannschaften der deutschen Heimatvertriebenen auf dem damaligen Reichskanzlerplatz (erst seit 1963 Theodor-Heuss-Platz) aufgestellt, wurde es von Theodor Heuss, dem ersten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, durch das Entzünden der Flamme eingeweiht. Bis zur Wiedervereinigung Deutschlands sollte die ewige Flamme brennen.



Foto: © Roswitha Schieb

Damit waren in den fünfziger Jahren vermutlich alle drei Teile gemeint, die Bundesrepublik, die DDR und das ehemalige Ostdeutschland »unter polnischer Verwaltung«, denn auch in anderen westdeutschen Städten mahnten Denkmäler dieser Zeit mit Aufrufen wie »Deutschland dreigeteilt – niemals!« Sogar Wolf Biermann singt 1966 in seinem Lied »Die hab' ich satt« natürlich kritisch über »den ganzen deutschen Skatverein, dies dreigeteilte deutsche Land« – eine Wendung, die vielen Hörern heute kaum noch verständlich sein dürfte.

Dass die Flamme am 3. Oktober 1990, am Tag der deutschen Einheit, gelöscht wurde, war eine zeittypische Kurzschlusshandlung. Endlich, geradezu erleichtert konnte mit Kriegsfolgen und Nachkrieg abgeschlossen werden, mit einem Mal schienen alle offenen Fragen erledigt zu sein. Doch das Erlöschen der Flamme währte nur zwei Monate: am 10. Dezember 1990, dem Tag der Menschenrechte, wurde sie erneut entzündet und brennt seither unausgesetzt im Sinne der darauf angebrachten Worte »Freiheit – Recht – Friede« auf der einen Seite, und »Diese Flamme mahnt: Nie wieder Vertreibung!« auf der anderen Seite.

Foto: © Roswitha Schieb
Und da brennt sie auch heute an einem stillen Februartag, tut keinem etwas, nimmt keinem etwas weg. Der Verkehr umkreist das Denkmal. Noch ist es kein Ort der Empathie. Aber vielleicht könnte es zu einem allgemeinen, stillen Ort der Trauer werden für alle Menschen, die Vertreibungen und Heimatverlusten ausgesetzt waren und sind, zu einem Ort, an dem die Trauer erlaubt ist. Schlicht und unspektakulär genug ist das Denkmal dazu. Und sinnfällig genug ist es mit der brennenden, dreibeinigen Eisenschale auch, um durch die Kraft einer archaischer Form das Einzelschicksal in ein größeres, und dadurch tröstliches Allgemeines zu überführen – weit entfernt vom Wespennest öffentlichen Streits über das Thema der Vertreibung. 
 
Fortsetzung am kommenden Donnerstag.

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