Donnerstag, 24. Februar 2011

Schlesien in der DDR

In Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, gab es keine öffentlichen Hinweise auf die Vertreibungen. Im Gegenteil: es durfte in der dortigen Terminologie nicht einmal von Vertreibung gesprochen werden, sondern nur von Umsiedlung. Die westlichen Vertriebenenverbände wurden als Hort des Revanchismus gebrandmarkt, Vertriebene, die sich in West-Berlin beispielsweise im Park-Café am Fehrbelliner Platz trafen, von der Stasi durch sogenannte Opa-IM's ausgehorcht. 1950 wurde der Schlesische Bahnhof, obwohl die sowjetischen Streitkräfte den Namen 1945 sorgfältig in »Sileskij Woksal« oder »Berlin sileskije« auf den Bahnhofsschildern ins Kyrillische transkribiert hatten, zunächst in Ostbahnhof, dann in Hauptbahnhof umbenannt, die zum Schlesischen Bahnhof hinführende Breslauer Straße in die Straße Am Ostbahnhof. In den Stasi-Akten galt der Status als »Umsiedler« in den fünfziger Jahren als etwa so negativ wie in anderen Akten die Tatsache der NSDAP-Mitgliedschaft – eine unterstellende Verquickung, die bis heute im fast reflexhaften Kurzschluss Vertriebener = potentieller Nazi immer noch wirksam ist. Historisch ist dieser Kurzschluss ungerechtfertigt: betrug bei den letzten Wahlen vor der Machtergreifung die Zustimmung zur NSDAP in bestimmten katholischen Regionen Schlesiens nur 28 Prozent, in Niedersachsen hingegen mancherorts über 60 Prozent – kein Grund also, unterstellend auf Schlesier herabzuschauen.

In der DDR war das Heimatverbot wirksam, das von Franz Fühmann, wie wir bereits lasen, am Ende seines Lebens als leidvoll und destruktiv beschrieben wurde. Noch stärker als im Westen, wo der Vertriebenenhintergund oft schamhaft verschwiegen wurde, muss das erzwungene Ausblendenmüssen der eigenen Herkunft in der DDR zu kollektiven seelischen Verwerfungen in der Bevölkerung geführt haben. Wer wusste und weiß schon in der DDR und im Westen, dass der berühmte sozialistische Philosoph, profilierte DDR-Dissident und Politiker Rudolf Bahro aus Schlesien stammte? Weder im Osten noch im Westen hat er von der Tatsache öffentlichen Gebrauch gemacht, dass er 1935 im schlesischen Bad Flinsberg geboren wurde. Im Laufe seines Lebens aber ließen sich bestimmte Züge nicht ausblenden, die in Ost und West für Verwirrung sorgten: seine starke Neigung zu Spiritualität, Ordensleben und Mystik (»Unsichtbare Kirche«) und sein Konstrukt eines »Fürsten der ökologischen Wende«. Mit Sozialtheorien, verquickt mit Herrscherlob, wie man sie auch bei Lassalle findet, eckte Bahro in Ost und West an. Vielleicht waren es unbewusste schlesische Züge, die in das kleinere Deutschland nicht mehr passten? Eine Reflexion darüber verbot sich von allen Seiten. Und wer hätte gedacht, dass der ein Jahr zuvor geborene Peter Hacks ebenfalls aus Schlesien, aus Breslau stammt? Nichts wiese darauf hin, vielleicht höchstens die lautmalerischen Seiten in seinen Kinderbüchern, die friderizianische Thematik einiger seiner frühen Dramen »Die Schlacht bei Lobositz« (1956) und »Der Müller von Sanssouci« (1958) sowie sein preußisches Fürstenlob, das er in Zusammenhang mit Walter Ulbricht verbalisieren konnte. Honecker schon war ihm zu aufgeweicht-unpreußisch.

Eine Beantwortung der Frage, ob es typisch schlesische Züge gibt, ist schwierig bis heikel. Dennoch machte sich dieser Blog auf die Suche nach historischem Material, das in Fülle und Überfülle vorhanden ist, um sich einer Antwort zumindest anzunähern.

Fortsetzung am kommenden Montag.

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