Montag, 7. Februar 2011

Soziales

Im Zusammenhang mit dem sozialen Engagement von Schlesiern ist Anna von Gierke erwähnenswert, der zu Ehren der Gierkeplatz und die Gierkezeile in Charlottenburg benannt sind. 1874 in Breslau als Tochter des Juristen und Sozialpolitikers Otto von Gierke geboren, wurde sie in Berlin zu einer berühmten Sozialpädagogin. Nachdem sie ihre Erfahrungen u. a. im Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus gesammelt hatte, engagierte sie sich für Kindergartenpädagogik, Schulspeisung und Horterziehung. Sie schuf eine Ausbildungsstätte für neue soziale Frauenberufe, »Jugendheime e. V.«, die auf ganz Deutschland ausstrahlte. In den zwanziger Jahren war sie Mitbegründerin eines Wohlfahrtsverbandes, aus dem der heutige Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hervorging. Ebenfalls in der Zeit der Weimarer Republik gründete sie das vorbildhafte Landjugendheim Finkenkrug, eine Erholungs- und Ausbildungseinrichtung, und knüpfte ein dichtes Netz von Einrichtungen, Vereinen und Verbänden der Kinder- und Jugendfürsorge. Wegen ihrer »halbjüdischen« Abstammung aus ihren Ämtern entlassen, engagierte sich Anna von Gierke für in Not geratene Menschen, gleichgültig welcher Herkunft und Religion.
Gedenktafel Anna von Gierke, Carmerstraße 12
Foto: © www.wikipedia.de
Als Mitglied der Bekennenden Kirche führte sie in ihrer Wohnung Carmerstraße 12, wo sich heute eine Gedenktafel befindet, regelmäßige subversive Versammlungen durch, an denen Größen wie Martin Niemöller, Helmut Gollwitzer, Theodor Heuss und Romano Guardini teilnahmen. Sie starb 1943 in Berlin und wurde auf dem Friedhof der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bestattet.

Stammte Anna von Gierke als Professorentochter aus dem angesehenen Breslauer und Berliner Bürgertum, so kam der Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza aus dem oberschlesischen Bergarbeitermilieu. 1890 in Scharley bei Beuthen/ Oberschlesien geboren begann er selbst bereits mit 14 Jahren unter Tage zu arbeiten. 1910 zog er ins Ruhrgebiet, wurde wegen Streiks entlassen und schlug sich als Hilfsarbeiter durch. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er KPD-Mitglied und kämpfte gegen Kapp-Putsch und Freikorps. In den zwanziger Jahren begann er zu schreiben und wurde in die Sowjetunion eingeladen. Ab 1936 kämpfte er im spanischen Bürgerkrieg, gelangte auf abenteuerlichen Wegen in die USA, von wo er 1946 zunächst nach Stuttgart, dann 1947 nach Potsdam zurückkehrte. 1950 war er Gründungsmitglied der Akademie der Künste der DDR. In seinem späteren schriftstellerischen Werk heroisierte er die ökonomische Entwicklung in der DDR, und wurde aufgrund dessen und aufgrund seiner lupenreinen proletarisch-antifaschistischen Vergangenheit mit Preisen und Ehrungen überhäuft. In der ganzen DDR gab es Kulturhäuser »Hans Marchwitza«. Und auch heute noch erinnert die Marchwitza-Straße in Marzahn an seine verschollene Popularität. Doch seine autobiographische Werke, Die Kumiaks (1. Band 1934) und Meine Jugend (1947) bewegen sich nicht nur in ideologischen Bahnen: sie liefern auch eindrucksvolle, fast zola-artige Tableaus der Arbeits- und Lebensverhältnisse der oberschlesischen Bergleute mit all ihren Fehlern und Schwächen, mit ihrem Aberglauben, ihren Gemeinheiten und Grausamkeiten. Marchwitza beschreibt diese Welt nüchtern und unaufgeregt. Sogar eine Wallfahrt der Arbeiter nach Deutsch-Piekar wird ausführlich geschildert. Im Buch werden wir andere schlesische Künstler kennenlernen, die sich unter anderem der sozialen Thematik verschrieben haben: August Scholtis, Franz Jung, den Maler Horst Strempel und Arnold Zweig.
Marchwitza als Spanienkämpfer (Briefmarke der DDR)
Foto: © www.wikipedia.de
Im Vergleich zu letzterem ist Hans Marchwitza literarisch nicht bedeutend. Aber er fügt dem oberschlesischen Hüttenwerks- und Elendstableau einen eigenwilligen Baustein hinzu, ein Tableau, das erstmalig im oberschlesischen Königshütte von Adolph Menzel entworfen und mit seinem »Eisenwalzwerk« bis heute eine gültige Form gefunden hat.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Schlesische Aufständische

Dass aus Schlesien stammende Großindustrielle wie Borsig oder oberschlesische Steinkohlenmagnaten wie Henckel von Donnersmarck Berlin im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wirtschaftlich entscheidend prägten, ist hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass soziale, gar sozialrevolutionäre Gedanken und Strömungen ebenfalls stark mit Schlesien verknüpft sind. Es ist festzuhalten, dass soziale Unruhen und neues soziales Gedankengut nicht etwa durch das beginnende Proletarierelend in Berlin ausgelöst wurden, sondern durch die schlesischen Weberaufstände.

An dieser Stelle soll eine einstmals äußerst populäre, heute vergessene Sozialrevolutionärin und Frauenrechtlerin aus Schlesien vorgestellt werden, Agnes Wabnitz, der zu Ehren aber immerhin im Jahre 2002 im Entwicklungsgebiet Alter Schlachthof am Prenzlauer Berg eine neu angelegte Straße benannt wurde. Sie wurde 1841 im oberschlesischen Gleiwitz geboren und besuchte die dortige Bürgerschule. Nachdem die Familie verarmt war, musste Agnes Wabnitz sich ihren Lebensunterhalt als Gouvernante auf polnischen Adelsgütern verdienen. Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts zog sie – wie so viele in dieser Zeit – nach Berlin, wo sie als Schneiderin und Näherin, vor allem als Mantelnäherin arbeitete. In der Partei- und Gewerkschaftsarbeit begann sie sich zu engagieren, nachdem ihr Bruder unter dem Sozialistengesetz 1879 verhaftet und ausgewiesen worden war. Durch ihr rednerisches Temperament, das sie zu einer wandernden Agitatorin machte, stieß sie immer häufiger mit der Polizei und anderen staatlichen Autoritäten zusammen. Unermüdlich setzte sie sich für die Stärkung der Frauenrechte ein. Sie agitierte auch gegen die Doppelmoral der Kirche und gegen die Anmaßung des Kaisers. 1892 wurde sie wegen Majestätsbeleidigung und Gotteslästerung verurteilt und inhaftiert. Im Gefängnis begann sie einen Hungerstreik, woraufhin sie in der Charité zwangsernährt und später in die Berliner Irrenanstalt Dalldorf (Wittenau) eingeliefert wurde. Nach ihrer Entlassung begann Agnes Wabnitz wieder, Reden und Vorträge zu halten, bis sie erneut verurteilt werden sollte. Bevor sie jedoch ihre Strafe antrat, nahm sie sich – symbolträchtig – auf dem Friedhof der Märzgefallenen in Berlin-Friedrichshain am 28. 8. 1894 das Leben.
Grabstein von Agnes Wabnitz
Friedhof der Freireligiösen Gemeinde
in der Pappelallee in Berlin
Prenzlauer Berg
Foto: © www.wikipedia.de
Agnes Wabnitz war damals derart populär, »vielleicht die bekannteste Frau ihrer Zeit«, wie ihr Biograph Klaus Kühnel schreibt, dass ihr Begräbnis nicht öffentlich stattfinden sollte, um eine politische Demonstration zu verhindern. Aber die Geheimhaltung gelang nicht. Am 2. September 1894 gaben ihr wohl über 40.000 Menschen das letzte Geleit zum Friedhof der Freireligiösen Gemeinde an der Pappelallee, mehr Personen als beim Begräbnis Kaiser Wilhelms I. zugegen waren. 630 Kränze wurden ihr zugedacht, achtzig mehr als dem Kaiser. Durch ihren Suizid wurde Agnes Wabnitz zur Märtyrerin der sozialdemokratischen Bewegung. Dass sie heute so gut wie vergessen ist, mag daran liegen, dass sie als Agitatorin durch und durch in ihrer Gegenwart lebte, und anders als Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin kein theoretisches Werk hinterließ. Ihr Grabstein auf dem Friedhof an der Pappelallee ist erhalten. Dort erinnert folgender Vers an die »unvergessliche Genossin«:
Edelsinn, Biederkeit war deine Zier
Wahrheit, Gerechtigkeit hieß dein Panier
Ob du im Grab auch liegst
Es klinget fort und fort
Wacker dein Losungswort:
Freiheit du siegst.

Fortsetzung am kommenden Montag.

Montag, 31. Januar 2011

Stahl

Das Buch wird sich auch mit der Industrialisierung Berlins befassen, die maßgeblich mit Schlesien in Zusammenhang stand, sei es, weil Materialien wie Kohle, Stahl und Ton von dort importiert wurden, sei es, weil etliche Industrielle und Großindustrielle, die für Berlin und deutschlandweit bedeutsam waren, aus Schlesien stammten und auch dort Werke unterhielten. Etwas weniger bekannt als Borsig, aber auch sehr bedeutend war der schlesische Großindustrielle Georg von Caro, der aus einer jüdischen Familie in Breslau stammte. Sein Vater war Königlich Preußischer Kommerzienrat, Hüttenbesitzer und Kaufmann in Breslau sowie Teilhaber der dort ansässigen Eisenhandels-Firma Caro. Mit unternehmerischem Engagement baute Georg Caro dann die väterliche Eisengroßhandlung zu einer der größten Unternehmungen ihrer Art in Deutschland aus. Zusammen mit seinem Bruder Oscar fusionierte er etliche Hüttenwerke in Oberschlesien, so in Bobrek bei Beuthen, in Laband und Kattowitz zur »Oberschlesischen Eisenindustrie AG für Bergbau und Hüttenbetrieb«. Im Jahr 1910 rief Georg von Caro in Breslau die »Deutsche Eisenhandels AG« ins Leben, die mehrere Eisenhandelsfirmen aus Breslau und die Berliner Eisenfirma von Jacob Ravené zusammenführte. Darüber hinaus gehörten dem Caro-Konzern über vierzig Tochterunternehmungen in ganz Deutschland an, was zu einer geradezu märchenhaften Kapitalanhäufung führte. Um 1900 erwarb Georg von Caro östlich von Berlin die Rittergüter Gielsdorf bei Altlandsberg und Wilkendorf bei Strausberg. Auf Schloss Wilkendorf, wo Fontane übrigens seinen Roman »Effi Briest« konzipierte, verstarb Georg von Caro im Jahr 1913, millionenschwer.

Der aus Fraustadt in Schlesien stammende Architekt und Bauingenieur Paul Wittig arbeitete mit Eisen und Stahl, nachdem er um 1900 zum Direktor der Berliner Hochbahngesellschaft geworden war. Zuvor hatte er bereits sechzig Räume des neu erbauten Reichstags ausgebaut, die leider nicht mehr erhalten sind. Nun setzte er sich für den Ausbau und für die Modernisierung der Berliner U- und Hochbahn ein, um Berlin im internationalen Maßstab nicht ins Hintertreffen geraten zu lassen. Er plädierte für die Mitwirkung von Baukünstlern an der Gestaltung der U-Bahnhöfe. Seine eigene gestalterische Tätigkeit beschränkte sich auf den Ausbau von Treppengebäuden und Pfeilern in den Bahnhöfen.
Nur noch das Treppenhaus des Hochbahnhofs Warschauer Straße ist von seinen Bauten erhalten, das wilhelminisch-futuristische Torhaus für die Hochbahndurchfahrt am Landwehrkanal und viele andere Bauwerke existieren nicht mehr.
Zwei Gedenkplaketten, einmal im U-Bahnhof Klosterstraße und im U-Bahnhof Alexanderplatz, erinnern an Paul Wittigs Wirken als Ingenieur. Übrigens plädierte Wittig bereits sehr früh, jedenfalls schon vor dem Ersten Weltkrieg, für die Errichtung von Hochhäusern in Berlin, damals »Turmhäuser« genannt. Für die Bebauung des Potsdamer Platzes schlug er ein rundes Hochhaus vor, für »Turmbauten« am Bahnhof Friedrichstraße Warenhäuser und einen runden Hotelbau. Ausgehend von seinem Vorbild Manhattan setzte er sich leidenschaftlich für die Zulassung größer Bauhöhen an sorgfältig auszuwählenden Punkten ein, um »die städtebauliche Schönheit von Weltstädten, also auch in Berlin, zu heben.« (Paul Wittig, Studie über die ausnahmsweise Zulassung einzelner Turmhäuser in Berlin, Berlin 1918, S. 14)

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Das märkische Kreisau

Das Landgut Borsig im havelländischen Groß Behnitz, fünfzig Autominuten vom Brandenburger Tor entfernt, überrascht den Besucher gleich mehrfach: es ist schön am Groß Behnitzer See gelegen, mit Terrassenlokal und einem gepflegten Park. Im Park am Ufer des Sees steht eine asiatische Platane, die Alexander von Humboldt dem Eisenbahnpionier August von Borsig von einer Forschungsreise als Dank mitgebracht hatte, Keimzelle der dendrologischen Liebhaberei der Familie Borsig über mehrere Generationen hinweg. Dann hat das Landgut enorme architektonische Ausmaße, die auf den Großindustriellen Albert Borsig zurückgehen, der das Gut 1866 erwarb und das Terrain mit einem architektonischen Ensemble in Backsteinbauweise ausbauen ließ. Diese sollte an die Berliner Borsig-Fabrik erinnern. Das Gut wurde als Teil der »A. Borsig Maschinenbauanstalt« nach modernsten landwirtschaftlichen Methoden bewirtschaftet, so mit Maschinen aus den Berliner Werken und Technologien, die bereits sehr früh nach ökologischen Prinzipien funktionierten: der Kuhstall wurde mit Biomasse erwärmt, Wasser wiederaufbereitet. Trotz aller Innovationsbestrebungen wurde jedoch auch der Geschichte und der Tradition Berlins Wertschätzung gezollt: Albert Borsig rettete beim Abriss des Oranienburger Tors in Berlin die Gontard-Skulpturen, indem er die Pfeiler seines Gutsportals mit ihnen bekrönte.
An einem der Pfeiler ist eine Gedenktafel angebracht mit folgender Aufschrift: »Hier trafen sich im ehemaligen Schloss in den Jahren 1941–1943 auf Einladung des Dr. Ernst Borsig mehrmals die Grafen Moltke und York von Wartenburg mit führenden Mitgliedern des Kreisauer Kreises.«

Während dieser konspirativen Treffen wurde u. a. das Sieben-Punkte-Programm des Kreisauer Kreises verfasst, in dem es um die Reagrarisierung Deutschlands nach der Beseitigung Hitlers ging. Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg stammten beide aus Schlesien, Ernst Borsig, der Gutsbesitzer, hatte schlesische Wurzeln. Sein berühmter, Berlin ungemein prägender Urgroßvater August Borsig war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Breslau nach Berlin gekommen, wo es ihm, dem Sohn eines schlesischen Zimmermannpoliers, gelungen war, zu einem Großindustriellen, zu einem Eisenbahnpionier, sogar Eisenbahnkönig aufzusteigen. Im Buch werden wir Näheres darüber erfahren. Sein Sohn Albert Borsig baute das Unternehmen weiter aus und übernahm auch das Gut Groß Behnitz. Von seinem Innovationsgeist profitierte das ganze Dorf: bereits 1869 wurde ein Bahnhof gebaut, an dem Züge von und nach Berlin hielten, um frische Landprodukte in die firmeneigenen Kantinen der Borsigwerke zu transportieren, eine Schule und ein Kindergarten wurden errichtet, die Wälder aufgeforstet, ein Erbbegräbnis der Familie Borsig an der Dorfkirche angelegt, vom gleichen Architekten übrigens, der auch den Borsigturm in Tegel baute. Hier in Groß Behnitz sind die meisten Mitglieder der Familie Borsig bestattet. Nur August Borsig, der Urgroßvater des Hitlergegners Ernst Borsig, liegt in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in einem Ehrengrab begraben, ganz in der Nähe eines besonders prachtvollen Grabmals, das mit buntglasierten Kacheln verziert ist: das Grabmal des Erfinders der Ringöfen, Friedrich Eduard Hoffmann.
Dieser war zwar kein Schlesier, betrieb aber neben anderen Werken ein bedeutendes Werk in Schlesien, in Siegersdorf (Zebrzydowa) am Queis bei Naumburg (Nowogrodziec) gelegen, das eine noch berühmtere schlesische Töpferstadt war als Bunzlau. Auf dem Grabmal ist der anrührende Hinweis zu lesen, dass »vier liebe Kinder des Koenigl. Bauraths Friedrich Hoffmann« als »Opfer des Scharlachs« hier beerdigt liegen. Die leuchtend bunten Keramikkacheln wurden, wie ein kleiner, unscheinbarer Stempel an der Seite verrät, in Siegersdorf, in Schlesien hergestellt.

Fortsetzung am kommenden Montag.

Montag, 24. Januar 2011

Schlesische Krieger

In seinem »Politischen Testament« von 1768 äußert sich Friedrich II. sehr positiv über die Schlesier, sowohl über die Bauern, als auch über den Adel. So beförderte er die Errichtung des Hedwigsdoms, um den katholischen schlesischen Adel stärker an sich zu binden. Und nicht nur Friedrich II. nutzte schlesische Militärs für die Festigung der preußischen Armee, auch seine Nachfolger bedienten sich ihrer. Etliche Gräber auf dem Alten Garnisonsfriedhof Linienstraße, Ecke Rosenthalerstraße und auf dem Invalidenfriedhof zeugen davon.

So entstammte Ludwig Matthias Nathanael Gottlieb von Brauchitsch, der 1757 geboren wurde, einem alten schlesischen Adelsgeschlecht. Er schlug die militärische Laufbahn ein und beteiligte sich während der Befreiungskriege an der Organisation des Landsturms gegen das napoleonische Heer, wurde danach Generalleutnant und trat 1820 die Nachfolge Gneisenaus als Diensttuender Gouverneur von Berlin an. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Alten Garnisonsfriedhof. Das Grabmal, nach Entwürfen Schinkels geschaffen, ist ein Werk der Berliner Eisengießerei, die die Ornamente der Eisenstele bereits 1828 zum Motiv ihrer Neujahrsplakette wählte.

Viele Militärs aus Schlesien sind es, die auf dem durch den Mauerbau gezausten Invalidenfriedhof ihre Gräber haben oder hatten. Da ist der preußische General Karl von Hänisch, 1829 in Ratibor geboren und aus einer alten niederschlesischen Familie stammend. Da ist der Generalfeldmarschall Hermann von Eichhorn, der 1848 in Breslau geboren wurde, an den Kriegen 1866 und 1870/71 teilnahm und während des Ersten Weltkriegs ums Leben kam. Die Eichhornstraße in Kaulsdorf ist nach ihm benannt. Ebenfalls bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts aktiv waren die beiden aus dem alten, weit verzweigten schlesischen Adelsgeschlecht von Prittwitz stammenden Militärs, der preußische Generaloberst Maximilian von Prittwitz und Gaffron, 1848 in Bernstadt bei Oels geboren, und der Admiral Curt von Prittwitz und Gaffron, geboren 1849 bei Ohlau. Auch der preußische Generaloberst Moritz von Bissing, nach dem die Bissingszeile im Tiergarten benannt ist, wurde 1844 in Schlesien, auf einem Gut bei Lauban, geboren. Der prominenteste ist allerdings der bekannte Jagdflieger des Ersten Weltkriegs, der 1892 in Breslau geborene Manfred von Richthofen, der »Rote Baron«, nach dem eine Straße in Tempelhof benannt ist.

Interessant im Zusammenhang mit den Militärs aus Schlesien ist auch die Invalidensiedlung in Frohnau, die die Tradition des von Friedrich II. gegründeten Invalidenhauses an der Scharnhorststraße fortsetzte. Nach dem Zweiten Schlesischen Krieg ließ Friedrich II. eine Invalideneinrichtung für Kriegsversehrte errichten. Während der NS-Zeit wurde das Gelände des Invalidenhauses für die Erweiterung der Militärärzteakademie beansprucht, so dass die Invalideneinrichtung an den äußersten Nordrand Berlin umziehen musste. Die Häuser, in holländisch wirkender Backsteinbauweise errichtet, waren 1938 bezugsfertig. Das Besondere an den hufeisenförmig angeordneten Häusern besteht darin, dass die steinernen Kartuschen über den Hausportalen an die Schlachten und Feldlager der Schlesischen Kriege erinnern: Mollwitz, Leuthen, Bunzelwitz, Glogau, Burkersdorf, Breslau und viele andere. [Foto Invalidensiedlung] Es wird berichtet, dass im Gemeinschaftshaus der Siedlung bis 1944 alljährlich der Geburtstag Friedrichs II. vor seiner mit Blumen geschmückten Büste begangen wurde. Hier wird die Vereinnahmung Friedrichs während der NS-Zeit in unangenehmster Weise sichtbar. Befreien wir ihn aus derartigen Vereinnahmungen und gratulieren ihm, oder zumindest dem Menzel-Bild, das ihn uns verlebendigt, heute zu seinem 299. Geburtstag.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Witz

Werner Fincks Buch
Alter Narr – was nun?

erschien 1972

Im Februar 2009 fand im schlesischen Neiße eine »Geschichtswerkstatt Schlesien« statt. Dort sollten sich ältere und jüngere Teilnehmer in sogenannten Tandemgesprächen ihre Geschichten erzählen. Schwere Themen wurden berührt, wenn es um Traumatisierungen durch Diktatur, Krieg, Vertreibung und Sozialismus in Schlesien ging. Aber die Atmosphäre wurde nicht schwer, bedrückend und lastend. Das hing vor allem mit den älteren Teilnehmern zusammen, Schlesier, über siebzig Jahre alt, die zum Teil in Deutschland lebten, zum Teil in Schlesien geblieben waren. Es hing zusammen mit ihrem Humor. 

Allesamt waren sie selbstironisch, sprachspielerisch (»Hier kommen die Neißer Scheißer«), verschmitzt und hatten den Schalk im Nacken. Der Witz hatte ihre Physiognomien auf das Freundlichste geprägt. Alles Schwere und Ernste wurde leicht in ihrer Gegenwart, aber nicht etwa durch Oberflächlichkeit, sondern durch die Weisheit des Komischen. Daher war die Geschichtswerkstatt von einer Offenheit jeneits aller Sonntagsreden geprägt, eine Offenheit, die von einem heiteren Mutterwitz getragen wurde. Die jüngere Generation konnte nur staunen.

Montag, 17. Januar 2011

Ingenieurskunst

Den Abschluss der Straße Unter den Linden bildet, sozusagen als fernes Gegenüber des Brandenburger Tors, der Berliner Dom, erbaut vom schlesischen Baumeister Julius Raschdorff, über den wir im Buch Näheres erfahren werden. In den Jahren 1897/98 erhielt ein Bauingenieur den Auftrag zu dem gewaltigen Unterfangen, den Berliner Dom von seinem Fundament bis zur Kuppel konstruktiv und statisch zu berechnen: der Professor für Statik der Baukonstruktion und Brückenbau an der Technischen Universität Berlin, Heinrich Müller-Breslau. Unter dem Namen Heinrich Müller 1851 in Breslau geboren, nannte er sich später, zur Unterscheidung von anderen Trägern dieses Namens, Müller-Breslau, fügte also seinem Namen seinen Geburtsort zu – eine Praktik, wie wir sie später von dem aus Neiße stammenden Schriftsteller Max Hermann kennen, der in Berlin seinen Nachnamen um den seiner Geburtsstadt erweiterte.

Foto: © www.berlins-gruene-seiten.de
Neben dem Berliner Dom noch erhaltene Bauwerke, die auf Heinrich Müller-Breslau zurückgehen, sind das Große Tropenhaus und das Mittelmeerhaus, auch Subtropenhaus genannt, im Botanischen Garten Berlin. Letzteres klingt mit seinem geschwungenen Giebel und den flankierenden Türmchen bewusst an die Fassade einer gotischen Kathedrale an. Auch der leider im Krieg zerstörte Kaisersteg über die Spree bei Oberschöneweide geht auf Heinrich Müller-Breslau zurück. Es handelte sich um eine äußerst schwungvolle Brückenkonstruktion, deren Portale mit gotisierenden Formen aus Eisen verziert waren. Müller-Breslau, der auch zeitweilig Rektor der Technischen Universität in Berlin-Charlottenburg war, wurde 1901 als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen, eine außergewöhnliche Auszeichnung, da die Akademie sonst keine Techniker in ihren Reihen zählte. Heinrich Müller-Breslau war auch Berater von Graf von Zeppelin, den er bei der Gestaltung des Tragwerks für dessen Luftschiffe unterstützte. Die Müller-Breslau-Straße in Charlottenburg geht auf diesen wichtigen Ingenieur zurück.


Grabstein Arnold Zweigs
auf dem Dorotheenstädtischen
Friedhof
Foto: © Roswitha Schieb
Hundert Jahre zuvor war der Baumeister Carl Gotthard Langhans auch als Konstrukteur und Ingenieur tätig. Er ersann in langen statischen Experimenten die Haltbarkeit von Bohlendachkonstruktionen, die zu größeren Kuppelbauten führten. Auch der Turmhelm auf der Marienkirche auf dem Alexanderplatz wurde von Langhans geschaffen. Es ist das erste neugotische Bauwerk in Berlin. Die spitzen Metallbögen, die sich überschneiden, wiederholen sich bei der Turmgestaltung in verschiedensten Variationen, in Gittern und Geländern. Auch Müller-Breslau arbeitete gerne bei seinen Konstruktionen, wie wir sahen, mit neugotischen Elementen - allerdings hundert Jahre nach Langhans. Interessant ist, dass auf den älteren Friedhöfen der Stadt Berlin die verschränkten, sich überschneidenden Langhans-Gitter vom Turmhelm der Marienkirche in vielen Grabeinfassungsgittern wiederkehren, auf dem Alten Garnisonsfriedhof ebenso wie vielfach auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, so um das Grab von Arnold Zweig herum, aus Schlesien stammend auch er.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.