Donnerstag, 24. Februar 2011

Schlesien in der DDR

In Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, gab es keine öffentlichen Hinweise auf die Vertreibungen. Im Gegenteil: es durfte in der dortigen Terminologie nicht einmal von Vertreibung gesprochen werden, sondern nur von Umsiedlung. Die westlichen Vertriebenenverbände wurden als Hort des Revanchismus gebrandmarkt, Vertriebene, die sich in West-Berlin beispielsweise im Park-Café am Fehrbelliner Platz trafen, von der Stasi durch sogenannte Opa-IM's ausgehorcht. 1950 wurde der Schlesische Bahnhof, obwohl die sowjetischen Streitkräfte den Namen 1945 sorgfältig in »Sileskij Woksal« oder »Berlin sileskije« auf den Bahnhofsschildern ins Kyrillische transkribiert hatten, zunächst in Ostbahnhof, dann in Hauptbahnhof umbenannt, die zum Schlesischen Bahnhof hinführende Breslauer Straße in die Straße Am Ostbahnhof. In den Stasi-Akten galt der Status als »Umsiedler« in den fünfziger Jahren als etwa so negativ wie in anderen Akten die Tatsache der NSDAP-Mitgliedschaft – eine unterstellende Verquickung, die bis heute im fast reflexhaften Kurzschluss Vertriebener = potentieller Nazi immer noch wirksam ist. Historisch ist dieser Kurzschluss ungerechtfertigt: betrug bei den letzten Wahlen vor der Machtergreifung die Zustimmung zur NSDAP in bestimmten katholischen Regionen Schlesiens nur 28 Prozent, in Niedersachsen hingegen mancherorts über 60 Prozent – kein Grund also, unterstellend auf Schlesier herabzuschauen.

Montag, 21. Februar 2011

Ewige Flamme

Jedes Mal, wenn ich in den achtziger Jahren mit dem Doppelstockbus um den Theodor-Heuss-Platz herumfuhr, was selten genug vorkam, berührte mich die brennende Schale auf dem Steinblock, der dort aufgestellt war, unangenehm. Ohne auch nur das Geringste über die Bedeutung dieses Denkmals zu wissen, lehnte ich es ab. Die zur Straßenseite hin angebrachten Worte »Freiheit – Recht – Friede« waren in ihrer Allgemeinheit nicht dazu angetan, ein unbewusstes Misstrauen diesem Ensemble gegenüber zu zerstreuen. Die dreibeinige Opferschale ließ meine Assoziationen unmittelbar und ungut zu den eisernen Leuchterreihen des Olympiastadions schweifen. Ein, wie ich meinte, muffiges Pathos stieß mich ebenso zurück wie eine angemaßte Sakralität. Hier war, so dachte ich, falsches Bewusstsein am Werk, etwas Reaktionäres und Restauratives aus den finsteren Anfangsgründen der Bundesrepublik.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Mystisches Glas

Die Frömmigkeit, die die katholischen Schlesier vor allem aus Oberschlesien mitbrachten, fand im kargen, preußischen Berlin wenig Widerhall. Die östlich geprägte religiöse Inbrunst konnte leicht als Aberglauben missverstanden werden. Schlesische Katholiken, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert in Berlin assimilieren wollten, taten gut daran, ihre Frömmigkeit nur im Schutz ihrer Kirchen und Familien auszuleben. Auch die mystische Tradition, wie sie in Schlesien mit prominenten Vertretern wie Jakob Böhme, Daniel Czepko von Reigersfeld oder Angelus Silesius seit dem 17. Jahrhundert konfessionsübergreifend lebendig war, fiel in Berlin nicht zwangsläufig auf fruchtbaren Boden. Da bedurfte es einiger Umwege.

Montag, 14. Februar 2011

Widerstand

Der christliche Widerstand gegen den Nationalsozialismus weist bedeutende Namen aus Schlesien auf. Über das mutige Wirken und Eintreten des aus dem niederschlesischen Ohlau stammenden Domprobsts Bernhard Lichtenberg gegen den Nationalsozialismus werden wir im Buch Näheres erfahren. Dem aus Breslau gebürtigen Pfarrer Joseph Lenzel, der sich für polnische Zwangsarbeiter einsetzte und im KZ Dachau ermordet wurde, waren wir bereits im Zusammenhang mit dem Hedwigsfriedhof 3 in Reinickendorf begegnet. Ebenfalls für polnische Zwangsarbeiter engagierte sich der Pfarrer August Froehlich.

Gedenktafel August Froehlich in Rudow  
Foto: © www.wikipedia.de

Donnerstag, 10. Februar 2011

Religion

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wuchs im Zuge der Industrialisierung die Bevölkerung Berlins sprunghaft an. Soziologisch gesehen war die Bevölkerungsexplosion vor allem dem enormen Zustrom von Arbeitskräften aus allen Provinzen, bevorzugt aus Schlesien, dem angestammten Berliner Hinterland geschuldet. Da Schlesien konfessionell geteilt war, brachten die Zuwanderer aus Schlesien entweder ihren evangelischen oder katholischen Glauben mit. Für die Protestanten aus Schlesien war es in Berlin einfacher, religiös heimisch zu werden und sich zu assimilieren, da die Stadt protestantisch geprägt war. In vielen bereits existierenden Kirchen und Gemeinden konnten sie sich eingliedern, ja einschmelzen. Sie befanden sich nun im Zentrum der traditionellen preußischen Verquickung von Thron und Altar. Natürlich mussten auch im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert aufgrund des Anwachsens der evangelischen Gemeinden viele repräsentative Kirchenbauten im zeittypisch neoromanischen, neogotischen oder später im expressionistischen Stil errichtet werden. Aber da die meisten älteren und alle ältesten Kirchen der Stadt, die Dorfkirchen, protestantisch waren, wirkten die Neubauten wie organische Erweiterungsbauten auf einer angestammten Glaubensschicht.

Montag, 7. Februar 2011

Soziales

Im Zusammenhang mit dem sozialen Engagement von Schlesiern ist Anna von Gierke erwähnenswert, der zu Ehren der Gierkeplatz und die Gierkezeile in Charlottenburg benannt sind. 1874 in Breslau als Tochter des Juristen und Sozialpolitikers Otto von Gierke geboren, wurde sie in Berlin zu einer berühmten Sozialpädagogin. Nachdem sie ihre Erfahrungen u. a. im Berliner Pestalozzi-Fröbel-Haus gesammelt hatte, engagierte sie sich für Kindergartenpädagogik, Schulspeisung und Horterziehung. Sie schuf eine Ausbildungsstätte für neue soziale Frauenberufe, »Jugendheime e. V.«, die auf ganz Deutschland ausstrahlte. In den zwanziger Jahren war sie Mitbegründerin eines Wohlfahrtsverbandes, aus dem der heutige Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hervorging. Ebenfalls in der Zeit der Weimarer Republik gründete sie das vorbildhafte Landjugendheim Finkenkrug, eine Erholungs- und Ausbildungseinrichtung, und knüpfte ein dichtes Netz von Einrichtungen, Vereinen und Verbänden der Kinder- und Jugendfürsorge. Wegen ihrer »halbjüdischen« Abstammung aus ihren Ämtern entlassen, engagierte sich Anna von Gierke für in Not geratene Menschen, gleichgültig welcher Herkunft und Religion.
Gedenktafel Anna von Gierke, Carmerstraße 12
Foto: © www.wikipedia.de
Als Mitglied der Bekennenden Kirche führte sie in ihrer Wohnung Carmerstraße 12, wo sich heute eine Gedenktafel befindet, regelmäßige subversive Versammlungen durch, an denen Größen wie Martin Niemöller, Helmut Gollwitzer, Theodor Heuss und Romano Guardini teilnahmen. Sie starb 1943 in Berlin und wurde auf dem Friedhof der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche bestattet.

Stammte Anna von Gierke als Professorentochter aus dem angesehenen Breslauer und Berliner Bürgertum, so kam der Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza aus dem oberschlesischen Bergarbeitermilieu. 1890 in Scharley bei Beuthen/ Oberschlesien geboren begann er selbst bereits mit 14 Jahren unter Tage zu arbeiten. 1910 zog er ins Ruhrgebiet, wurde wegen Streiks entlassen und schlug sich als Hilfsarbeiter durch. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er KPD-Mitglied und kämpfte gegen Kapp-Putsch und Freikorps. In den zwanziger Jahren begann er zu schreiben und wurde in die Sowjetunion eingeladen. Ab 1936 kämpfte er im spanischen Bürgerkrieg, gelangte auf abenteuerlichen Wegen in die USA, von wo er 1946 zunächst nach Stuttgart, dann 1947 nach Potsdam zurückkehrte. 1950 war er Gründungsmitglied der Akademie der Künste der DDR. In seinem späteren schriftstellerischen Werk heroisierte er die ökonomische Entwicklung in der DDR, und wurde aufgrund dessen und aufgrund seiner lupenreinen proletarisch-antifaschistischen Vergangenheit mit Preisen und Ehrungen überhäuft. In der ganzen DDR gab es Kulturhäuser »Hans Marchwitza«. Und auch heute noch erinnert die Marchwitza-Straße in Marzahn an seine verschollene Popularität. Doch seine autobiographische Werke, Die Kumiaks (1. Band 1934) und Meine Jugend (1947) bewegen sich nicht nur in ideologischen Bahnen: sie liefern auch eindrucksvolle, fast zola-artige Tableaus der Arbeits- und Lebensverhältnisse der oberschlesischen Bergleute mit all ihren Fehlern und Schwächen, mit ihrem Aberglauben, ihren Gemeinheiten und Grausamkeiten. Marchwitza beschreibt diese Welt nüchtern und unaufgeregt. Sogar eine Wallfahrt der Arbeiter nach Deutsch-Piekar wird ausführlich geschildert. Im Buch werden wir andere schlesische Künstler kennenlernen, die sich unter anderem der sozialen Thematik verschrieben haben: August Scholtis, Franz Jung, den Maler Horst Strempel und Arnold Zweig.
Marchwitza als Spanienkämpfer (Briefmarke der DDR)
Foto: © www.wikipedia.de
Im Vergleich zu letzterem ist Hans Marchwitza literarisch nicht bedeutend. Aber er fügt dem oberschlesischen Hüttenwerks- und Elendstableau einen eigenwilligen Baustein hinzu, ein Tableau, das erstmalig im oberschlesischen Königshütte von Adolph Menzel entworfen und mit seinem »Eisenwalzwerk« bis heute eine gültige Form gefunden hat.

Fortsetzung am kommenden Donnerstag.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Schlesische Aufständische

Dass aus Schlesien stammende Großindustrielle wie Borsig oder oberschlesische Steinkohlenmagnaten wie Henckel von Donnersmarck Berlin im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wirtschaftlich entscheidend prägten, ist hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, dass soziale, gar sozialrevolutionäre Gedanken und Strömungen ebenfalls stark mit Schlesien verknüpft sind. Es ist festzuhalten, dass soziale Unruhen und neues soziales Gedankengut nicht etwa durch das beginnende Proletarierelend in Berlin ausgelöst wurden, sondern durch die schlesischen Weberaufstände.

An dieser Stelle soll eine einstmals äußerst populäre, heute vergessene Sozialrevolutionärin und Frauenrechtlerin aus Schlesien vorgestellt werden, Agnes Wabnitz, der zu Ehren aber immerhin im Jahre 2002 im Entwicklungsgebiet Alter Schlachthof am Prenzlauer Berg eine neu angelegte Straße benannt wurde. Sie wurde 1841 im oberschlesischen Gleiwitz geboren und besuchte die dortige Bürgerschule. Nachdem die Familie verarmt war, musste Agnes Wabnitz sich ihren Lebensunterhalt als Gouvernante auf polnischen Adelsgütern verdienen. Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts zog sie – wie so viele in dieser Zeit – nach Berlin, wo sie als Schneiderin und Näherin, vor allem als Mantelnäherin arbeitete. In der Partei- und Gewerkschaftsarbeit begann sie sich zu engagieren, nachdem ihr Bruder unter dem Sozialistengesetz 1879 verhaftet und ausgewiesen worden war. Durch ihr rednerisches Temperament, das sie zu einer wandernden Agitatorin machte, stieß sie immer häufiger mit der Polizei und anderen staatlichen Autoritäten zusammen. Unermüdlich setzte sie sich für die Stärkung der Frauenrechte ein. Sie agitierte auch gegen die Doppelmoral der Kirche und gegen die Anmaßung des Kaisers. 1892 wurde sie wegen Majestätsbeleidigung und Gotteslästerung verurteilt und inhaftiert. Im Gefängnis begann sie einen Hungerstreik, woraufhin sie in der Charité zwangsernährt und später in die Berliner Irrenanstalt Dalldorf (Wittenau) eingeliefert wurde. Nach ihrer Entlassung begann Agnes Wabnitz wieder, Reden und Vorträge zu halten, bis sie erneut verurteilt werden sollte. Bevor sie jedoch ihre Strafe antrat, nahm sie sich – symbolträchtig – auf dem Friedhof der Märzgefallenen in Berlin-Friedrichshain am 28. 8. 1894 das Leben.
Grabstein von Agnes Wabnitz
Friedhof der Freireligiösen Gemeinde
in der Pappelallee in Berlin
Prenzlauer Berg
Foto: © www.wikipedia.de
Agnes Wabnitz war damals derart populär, »vielleicht die bekannteste Frau ihrer Zeit«, wie ihr Biograph Klaus Kühnel schreibt, dass ihr Begräbnis nicht öffentlich stattfinden sollte, um eine politische Demonstration zu verhindern. Aber die Geheimhaltung gelang nicht. Am 2. September 1894 gaben ihr wohl über 40.000 Menschen das letzte Geleit zum Friedhof der Freireligiösen Gemeinde an der Pappelallee, mehr Personen als beim Begräbnis Kaiser Wilhelms I. zugegen waren. 630 Kränze wurden ihr zugedacht, achtzig mehr als dem Kaiser. Durch ihren Suizid wurde Agnes Wabnitz zur Märtyrerin der sozialdemokratischen Bewegung. Dass sie heute so gut wie vergessen ist, mag daran liegen, dass sie als Agitatorin durch und durch in ihrer Gegenwart lebte, und anders als Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin kein theoretisches Werk hinterließ. Ihr Grabstein auf dem Friedhof an der Pappelallee ist erhalten. Dort erinnert folgender Vers an die »unvergessliche Genossin«:
Edelsinn, Biederkeit war deine Zier
Wahrheit, Gerechtigkeit hieß dein Panier
Ob du im Grab auch liegst
Es klinget fort und fort
Wacker dein Losungswort:
Freiheit du siegst.

Fortsetzung am kommenden Montag.