Hedwigsfriedhof |
Nur zu Allerheiligen tummeln sich die Angehörigen etlicher Verstorbener auf den katholischen Friedhöfen Berlins. Viel mehr rote Grabkerzen als sonst üblich brennen an diesem katholischen Feiertag. Einige Gräber auf dem Hedwigsfriedhof, meistens polnische oder oberschlesische, sind mit Kerzen, Grableuchten und Laternen geradezu überhäuft, kleinen flackernden Inseln gleich, die sich gegen das graue Licht des Novembers anstemmen. Hastig werden gelbe Ahorn- und Buchenblätter von den Gräbern geharkt, die sich bislang auf alle Gräber und Wege gleichmäßig verteilt hatten. In das Geraschel der Blätter mischt sich regelmäßig das Gezischel der S-Bahn. Dann wird es stiller. Noch wölben sich die orangegelben Hauben der Trauerbuchen über den Gräbern. Nach ein, zwei Herbststürmen werden sie kahl sein. Dann wird der Schnee kommen und der Frost. Die eine oder andere Grabstätte wird durch den kommenden Winter, durch Kälte und Frost beschädigt, gesprengt, verwittert. Schon jetzt rutschen manche Grabaufbauten ab und zerfallen. Die Krähen werden sich auf den kahlen Ästen niederlassen als schwarze, ungenießbare Winterfrüchte.
Leider ist es nicht üblich, auf Grabsteinen den Geburtsort zu verzeichnen. Dabei sind es auf dem Hedwigsfriedhof 2 an der Smetanastraße in Berlin-Weißensee sicher weit über fünfzig Prozent der Bestatteten, die aus Schlesien stammen. Man erkennt es an den Namen. Die typisch mittel-niederschlesischen Namen wie Witzel, Giesel, Wenzel, Zobel sind dabei weniger stark vertreten als typisch oberschlesische Namen wie Knossalla, Cimbollek, Skrobotz, Kaluza, Kamionka, Czwak, Kudelka, Tlach, Laschewski, Woitrik, Smala, Przyniczynski, die meisten im ausgehenden 19. Jahrhundert geboren. Es ist ein unspektakulärer Friedhof. Aber er zeugt von der Arbeitsmigration aus Schlesien nach Berlin um 1900. Viele der Ankömmlinge versuchten, dem sozialen Elend der schlesischen Viertel um den Schlesischen Bahnhof und das Schlesische Tor herum zu entgehen. Viele siedelten sich in Weißensee an. Auch dieser Friedhof wird zu Allerheiligen mit vielen roten Grabkerzen geschmückt und leuchtet still in seiner Abgeschiedenheit.
Hedwigsfriedhof im November |
Weniger romantisch ist der Hedwigsfriedhof 3 an der Ollenhauerstraße in Reinickendorf gelegen. Im Dreiminutentakt schwebt ein Flugzeug nach anderen geräuschvoll und riesig herab, um auf dem nahen Flughafen Tegel zu landen oder von dort zu starten und ebenso geräuschvoll wieder am Himmel zu verschwinden. Pfarrer Josef Lenzel ist dort begraben. 1890 in Breslau geboren, kümmerte er sich während des Zweiten Weltkriegs in seiner Pfarrei in Berlin-Niederschönhausen um die polnischen Zwangsarbeiter, half ihnen und betreute sie seelsorgerisch. 1942 wurde er von der Gestapo verhaftet und starb im selben Jahr im KZ Dachau. Drei Gedenktafeln und zwei Straßenbenennungen in der Stadt zeugen von seinem mutigen Wirken in Berlin. Auch ihm brennen zu Allerheiligen rote Lichter.
Fortsetzung am kommenden Donnerstag.
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